Dieser Artikel stellt eine Grammatik für ein deutschsprachiges Text-to-Speech-System vor. Bei der Sprachsynthese ist eine kurze Verarbeitungszeit zwar von größter Bedeutung, die Praxis zeigt aber, daß man mit einer allzu oberflächlichen linguistischen Analyse kein hochwertiges Sprachsignal erzeugen kann — es ist also von Vorteil, auch für die Umwandlung von geschriebener zu gesprochener Sprache mindestens eine syntaktische Verarbeitung vorzunehmen. Die Computerlinguistik arbeiteitet heute überwiegend mit Unifikationsgrammatiken, um natürliche Sprache syntaktisch zu verarbeiten. Um Rechenzeit einzusparen, beschränkte man sich beim hier besprochenen System allerdings auf die Unifikation von atomaren Termen; es wird (informell) gezeigt, daß dieser Verzicht unmittelbar zur Folge hat, nur noch die Klasse der kontextfreien Sprachen verarbeiten zu können.
Diese Einschränkung erscheint sehr schwerwiegend, entgegen einer verbreiteten Meinung ist es aber durchaus möglich, mit einer kontextfreien Grammatik auch komplexere sprachliche Phänomene handzuhaben. Der Hauptteil dieses Artikels zeigt Mechanismen, mit denen auch mit einer auf atomare Unifikation beschränkten und somit kontextfreien Grammatik Koordination, Subkategorisierung, Fernabhängigkeiten und freie Wortstellung behandelbar sind.